Klettern hat ein Gewichtsproblem, sagt Sportmediziner Volker Schöffl. Er war Teil der medizinischen Kommission des Weltkletterverbands IFSC. Im Juli ist er ausgetreten, aus Protest. Sein Vorwurf: Die IFSC tue zu wenig gegen Essstörungen im Klettern, obwohl der Sport hochanfällig dafür ist.
Denn wer weniger wiegt, muss an der Wand entsprechend weniger Gewicht nach oben ziehen. Das führe im Sport zu einer gefährlichen Fokussierung aufs Gewicht, bei Athleten und Trainern. „Der Trainer kann auch sagen: Ja klar, Mädchen wenn du jetzt zwei Kilo leichter bist, dann kletterst du noch besser. Auch das habe ich schon erlebt. Also der hat schon große Einflussnahme. Das sind auch irgendwo falsche Vorstellungen. Natürlich ist erst mal leichter besser.“
Gesundheitliche Schäden drohen
Aber nur bis zu einem bestimmten Punkt, weiß Volker Schöffl aus Studien. Verliert man trotzdem weiter an Gewicht, gibt es Leistungseinbußen. „Also irgendwann ist bei dieser Spirale eben einfach Schluss", sagt Schöffl. Langfristig drohen zu dünnen Sportlerinnen und Sportlern gesundheitliche Schäden.
Die medizinische Kommission schlägt deswegen ein Monitoring-Konzept vor: Die Kommission solle den BMI erheben und einen weiteren Messwert zum Verhältnis von Größe und Gewicht. Wer auffällig ist, bei dem würden national weitere Parameter analysiert. Anhand der Befunde könnte die Kommission die Athleten in einem Ampelsystem einstufen - und je nach Gefährdungsgrad auch Startverbote erteilen.
Das fertige Konzept liegt in der Schublade
Über zehn Jahre hat Schöffl an dem Konzept gearbeitet, umgesetzt ist es aber noch nicht: "Und das ist schade, weil wir haben im Klettersport die beste Datenlage von allen. Und wir hätten ein funktionierendes System. Und wenn wir dieses System ein- und umsetzen würden, dann hätten wir auch eine deutliche Vorbildfunktion für andere Sportarten. Und es würde ganz sicher anderen Sportarten helfen, so ähnliche Schritte zu gehen, weil die Problematik besteht nicht nur im Klettersport. Aber im Klettersport ist sie relativ augenscheinlich, und wir wären von der medizinischen Kommission aus gewillt, etwas zu tun und sehen es auch als ein Muss an."
Sehr dünne Athlet*innen finden sich auch in Ausdauersportarten, im Turnen oder Skispringen. Käthe Atkins, deutsche Weltcup-Kletterin, findet es durchaus sinnvoll, im Leistungssport mit dem Körpergewicht zu arbeiten, es muss aber in einem gesunden Maß sein.
„Man sucht ja jeden Tag irgendwelche Stellschrauben, an denen man drehen kann. Und wenn man dann sich denkt, hey, okay, an welcher Schraube habe ich noch nicht gedreht, dann scheint es einfach sehr attraktiv, dann an der Gewichtsschraube nachzudrehen.“
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Beim DAV, dem deutschen Alpenverein, wird die Thematik in der Trainerbildung und in der Arbeitsgruppe „Sport und Gesundheit“ aufgegriffen. DAV-Sportdirektor Martin Veith:
„Ja, also tatsächlich ist es aus unserer Sicht auch so, dass die nationalen Verbände schon die Hauptverantwortung auch tragen, für die Gesundheit ihrer Athleten und Athletinnen Sorge zu tragen.“
Internationale Regelungen für Fairness notwendig
Kletterin Käthe Atkins ist aber der Meinung, dass es zusätzlich internationale Regelungen braucht:
„Weil der nationale Verband ist dann wahrscheinlich auch ziemlich im Zwiespalt, wenn eine Athletin oder ein Athlet sehr stark ist und Olympia-Hoffnungen hat oder so, ist es natürlich auch schwer, dass der Verband dann sehr strenge Maßnahmen aufstellt, wenn andere Verbände gleichzeitig halt keine haben.“
Deswegen fände sie Gewichtskontrollen vor dem Wettkampf sinnvoll, die darüber entscheiden, ob die Kletterer startberechtigt sind oder nicht. Bisher war es so, dass die medizinische Kommission um Volker Schöffl nur Empfehlungen ausgesprochen hat und es keine Konsequenzen für zu dünne Athleten von Seiten des Weltverbands gab:
„Wenn da national nichts weiter erfolgt, dann ist das ganze System letztendlich sinnlos. Das ist ja rein freiwillig. Also man muss einen Schritt weitergehen und damit eine Sanktionsfähigkeit herausgeben. Und da sträubt sich die IFSC seit Jahren dagegen. Skispringen hat es gemacht, die Österreicher machen es national bei den Kletterern. Wieso die IFSC es weltweit nicht macht, ist mir nicht klar. Es wird immer vorgeschrieben, dass die IFSC Angst vor den rechtlichen Konsequenzen und Prozessen hat, die sie dann gegebenenfalls ausfechten müssten. Aber das ist nicht wirklich nachvollziehbar.“
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Auf Anfrage des Deutschlandfunks antwortet der Weltkletterverband dazu nicht.
DAV weitet Monitoring und regelmäßigen Gewichtskontrollen aus
Der deutsche Verband führt immer wieder Gewichtskontrollen vor Lehrgängen und verschiedene Monitoring-Maßnahmen durch: „Gibt es irgendwelche Auffälligkeiten, hat irgendeine Athletin oder irgendein Athlet vielleicht übermäßig schnell viel Gewicht verloren? Und sollte das der Fall sein, dann würde da eine Untersuchungskaskade angehängt werden, um dem Ganzen nachzugehen.“
Sollte sich ein Athlet oder eine Athletin wirklich in einem kritischen Bereich bewegen, kann vom deutschen Verband auch ein Startverbot ausgesprochen werden.
„Also ich glaube schon, dass bei den Athleten und Athletinnen da so eine Sensibilität auch vorherrscht für das Thema, dass sie das durchaus begrüßen, dass so was gemacht wird. Und von daher nehme ich das schon als recht produktiv wahr, wie wir da zusammenarbeiten.“
Kletterin Käthe Atkins kann das bestätigen und hofft, dass das beibehalten wird.
„Der Klettersport boomt ja total, und ich würde mir wünschen, dass auch die nachfolgende Generation beschützt wird. Und wenn die jetzt den Fernseher einschalten oder bei Olympia 2024 den Fernseher einschalten, dass die Jugend oder die nachfolgende Generation sich denkt: Boah, die sind ja alle dünn. Vielleicht sehen die Vorbilder oder nehmen sich ein Vorbild an jemandem, sondern die nachfolgenden Generationen sollte gesunde, starke, sportliche, einfach gute Kletterer sehen und sich denken: Hey, das will ich mir machen und das will ich mal werden.“
Author: Amy Cook
Last Updated: 1699714442
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